Auf meiner Suche nach noch lebenden Zeitzeugen, lernte ich im Sommer 2020 unter anderem Dr. August Werner kennen. 1941 hatte er sich freiwillig zur Luftwaffe gemeldet, wurde zunächst zur Grundausbildung nach Österreich einberufen und später zu einer Nachschubeinheit in Afrika abkommandiert. Nach mehrmaligem Anlauf wurde seine Bewerbung zur Flugzeugführerlaufbahn angenommen und er erwarb seinen Flugzeugführerschein in Frankreich. Ende 1943 zum Kampfgeschwader 54 “Totenkopf” abkommandiert, flog er Einsätze im Rahmen des Unternehmen „Steinbock“ gegen England. Als Pilot einer Ju-88 nahm er an zahlreichen Minenlegereinsätzen im Ärmelkanal teil und wurde bis zum Unteroffizier befördert. Nach der alliierten Invasion flog er Einsätze gegen die Landungstruppen und wurde mit dem EK1 und EK2 sowie der Frontflugspange ausgezeichnet. Mehrmals wurde seine Maschine schwer beschädigt, einmal gelang ihm nur knapp eine Landung, nachdem ein Drittel der linken Tragfläche nach einer Kollision abgeschert wurde. Ende 1944 wurde sein Geschwader auf die Me-262 umgerüstet und er war zunächst dafür zuständig, Maschinen von den Messerschmitt Werken zu den Einsatzhäfen zu überführen. Über 60 Flüge absolvierte er auf der Me-262. Aufgrund der schlechten Verarbeitungsqualität der Endkriegsproduktion wurde er zweimal zur Notlandung gezwungen. Im Raum Würzburg gelang ihm eine noch glimpfliche Bruchlandung. Bei Kriegsende befand er sich auf dem Flugplatz Prag-Rusin beim Geschwader „Nowotny“ und entkam nur knapp den Russen mittels einer abenteuerlichen Flucht nach Bayern. Nach nur zehn Tagen in amerikanischer Gefangenschaft wurde er dort schnell wieder entlassen.

August Werner fand den Weg zurück ins Zivilleben, promovierte in Tiermedizin und gründete eine Familie. Die Erinnerungen an seine Dienstzeit verließen ihn nie. Das alte Portraitbild in Luftwaffenuniform schmückte seinen Hausflur, das Flugzeugführerabzeichen lag verstaubt im Regal. Über den Krieg redete er nicht gerne, aber seine Begeisterung für das Fliegen war nie ganz erloschen. Zur Weihnachtszeit 2020 konnten wir ihm nochmals eine große Freude bereiten. Mit Hilfe von Freunden, einigen Kontakten und einer Fahrt durch halb Deutschland war es möglich, den ehemaligen Düsenjägerpiloten nach Jahrzehnten nochmals mit seinem Kampfflugzeug zu vereinen. Ehrfürchtig und mit leuchtenden Augen stand er in der Werkstatthalle vor dem doch sehr gewaltig wirkendem Rumpf des Jagdflugzeugs. Es bedurfte keiner großen Überzeugungskunst und er schwang sich nochmals auf den Pilotensitz. Am Steuer einer solchen Maschine hatten seine Kameraden und er damals Luftfahrtgeschichte geschrieben. Trotz seiner Erinnerungslücken wirkten alle Instrumente noch so vertraut und auch der Steuerknüppel lag noch gut in der Hand. Keiner von uns Anwesenden konnte nachvollziehen, was August wohl dachte, als er nochmals durch die fast zehn Zentimeter starke Panzerverglasung seines Düsenjägers blickte. Was wird er wohl damals alles durch dieses Fenster gesehen haben?



Bei unseren Gesprächen zuvor sonst oft sehr schweigsam, begann nun das große Erzählen. Technische Details und Besonderheiten der Maschine, aber auch das bangende Warten auf die Rückkehr der Kameraden nach einem Einsatz wurden beschrieben. Fast immer einer fehlte! Wild gestikulierend wurden noch Flugmanöver mit der Ju-88 über dem Ärmelkanal dargestellt. Nach etwas über zwei Stunden war der Ausflug dann auch wieder zu Ende und mit einem letzten Blick zurück auf sein Flugzeug trat er die Heimreise an.

Gerne hätte ich die Erinnerungen von Dr. August Werner als Buch dokumentiert. Leider konnte er sich aber nur noch bruchstückhaft an seine Dienstzeit erinnern, ältere Aufzeichnungen lagen nicht vor. Dennoch erinnere ich mich sehr gerne an die Gespräche, aber insbesondere an den Ausflug mit ihm zurück. Dr. August Werner verstarb am 23. Dezember 2022, nachdem er noch im Kreise seiner Familie den 100. Geburtstag feiern konnte. Möge er in Frieden Ruhen!
Adrian Matthes, Erlangen, März 2023
Nach 75 Jahren wieder am Steuer einer Me-262